Muss ich die Leitstute sein?

03.10.2015 18:10

Wir alle wollen eine gute Beziehung zu unseren Pferden. Es soll uns bereitwillig folgen und uns in allen Lebenslagen vertrauen. Wir (glauben zu) wissen, dass es in einer Pferdeherde eine Leitstute gibt, zu der alle anderen Pferde ein vertrauensvolles Verhältnis haben und die über allen steht - die Herdenmama sozusagen. Und genauso müssen wir uns demnach verhalten, damit unser Pferd uns genauso vertraut. Wenn es nur so einfach wäre!


Die weit verbeitete Annahme, dass in Pferdeherden lineare Rangordnungen bestehen und es
einen Leithengst und eine Leitstute gibt, ist heute längst überholt. Aus der modernen Verhaltensforschung weiß man, dass die sozialen Gefüge innerhalb einer Herde wesentlich komplexer sind. Die Strukturen sind so unterschiedlich wie die Pferdepersönlichkeiten selbst. Es gibt extrovertierte und zurückhaltende Individuen genauso wie ängstliche und mutige. Je nach Situation übernimmt das eine oder andere Pferd dann die Führung - geht es darum Wasser zu finden, hat vielleicht ein bestimmtes Pferd die Gabe dazu. Ein anderes Pferd ist immer besonders aufmerksam und hört oder sieht jede Bewegung die ein Feind sein könnte. Es gibt also keine immer gleich bleibenden Leittiere, sondern situationsbezogen welche, denen die anderen dann folgen.


Wollen wir also das Leittier für unsere Pferde sein, müssen wir ganz besondere Anforderungen erfüllen und vor allem merken, was unser Pferd gerade wahrnimmt. Wir besitzen aber weder die Rundumsicht, noch die feinen Ohren oder Riechzellen eines Pferdes. Wie sollen wir da ein gutes Leittier abgeben? Aus Pferdesicht ist es also ziemlich absurd, dass ein Mensch ein Pferd dahingehend ersetzen kann. Wir können mit einem Pferd aber so umgehen, dass es sich bei uns sicher fühlt. Indem das Pferd ausschließlich positive Erlebnisse mit uns hat, wird es ihm leichter fallen, sich von uns auch in schwierigen Situationen leiten zu lassen. Wir Menschen fühlen uns mit dem Gedanken sicher dass ein Tier uns als "Alpha" anerkennt, und leider existieren viele Trainingsmethoden die eine Unterwerfung, eine Resignation zum Ziel haben. Die Pferde werden dabei zu widerstandslosen Untergebenen gemacht, die uns aus Furcht vor Strafe "dienen". Wir müssen im Umgang mit Pferden und auch beim Training diesen Gedanken loslassen, dass der Mensch immer über allem stehen muss. Pferde können auch so tolle, gleichwertige Freizeitpartner sein, man muss ihnen nur die Chance dazu geben.